Beratung tut not, oder …. Da werden Sie geholfen
Die Beratung für den Verein führen wir ehrenamtlich in wechselnder Besetzung, meist zu zweit durch. Dabei begegnen uns Pilzsachverständigen die verschiedensten Typen: Junge und Alte, Einheimische und Auswärtige, alte Freunde und Unbekannte, Kleine und Große, Zierliche und Dickbauchige; sie können einzeln oder in Gruppen auftreten. Wir sind gefasst auf solche mit oder ohne Ring, auch Doppelberingte sind schon gesehen worden; es begegnen uns welche mit langen, schlanken oder mit kurzen, dicken Füßen , es können solche mit oder ohne Hut erscheinen, auch mit Warzen, übersäte oder Stachelbärte könne uns nicht erschrecken und über nach Knoblauch riechende freuen wir uns genauso wie über Schönköpfe oder Zigeuner, auch Skin-heads (Hautköpfe), Bischofsmützen, Mönchs-, Mohren- oder Wasserköpfe bringen uns genau so wenig aus der Fassung wie mit Schleim oder Schuppen bedeckte. Wir haben keine Abneigung gegen Säufernasen oder Gelbfüße (wie bei den Württembergern die Badener genannt werden), die Begegnung mit einem Essenkehrer deuten wir als Glück, und über eine Schleierdame würden wir uns sehr freuen. Selbst der Anblick einer Zitze, einer Scheide oder eines Phallus haut uns nicht vom Stuhl (gemeint sind natürlich Pilzarten).
Jedenfalls kann uns so schnell nichts mehr überraschen, die Palette unserer Besucher ist breit gefächert und reicht von A wie Anfänger über B wie Besserwisser und W wie Wissensdurstige bis zu Z wie Zuschauer.
Damit wir herausfinden, mit wem wir es tun haben, welche Kenntnisse wir voraussetzen können, wie ausführlich unsere Erklärungen sein müssen, um verstanden zu werden und wie weit das Interesse geht, versuchen wir, mit dem Ratsuchenden in ein Wechselgespräch zu gelangen. Oft klärt sich die Situation schon mit den ersten Worten z. B. wenn der Besucher erklärt, dass seine „Steinpilze“ unten gar nicht gelblich-grünlich seien, wie sonst, sondern diesmal blassrosa und uns dann – der Leser ahnt es schon – eine Portion Gallenröhrlinge vorlegt.
Als letzte Ratsuchende kam eines Tages eine junge Dame mit einem bis zum Rand hin gefüllten Henkelkorb zur Beratung. Bei einem derart vollen Pilzkorb ist es die übliche Praxis, dass der Ratsuchende dem Korb Pilz für Pilz entnimmt, wir diesen erläutern und auf der freien Tischfläche platzieren. Kommt dann als nächstes ein Exemplar derselben Art, wird es zu den bereits besprochenen gelegt kommt jedoch eine neue Spezies, so wird ein neues Häuflein angefangen.
Es begann mit einigen Safranschirmlingen, dazwischen kamen uns dann Rotfußröhrlinge, Maronenröhrlinge und Ziegenlippen in die Finger und auch einige Steinpilze fanden sich. Die junge Dame quittierte unsere Erläuterungen mit Schweigen. Dass sie die Maronenröhrlinge durch deren ausgeprägte Blauverfärbung der Röhrenschicht von den anderen Röhrlingen unterscheiden könne, nahm sie noch mit Gleichmut hin, mit Fortdauer des Gesprächs wurde aber eine gewisse Unruhe, um nicht zu sagen Ungeduld, spürbar. Dann kamen verschiedene Täublinge und Milchlinge zum Vorschein. Dass beide Gattungen zu den Sprödblättlern gezählt werden, entlockte ihr lediglich ein Gähnen und dass sich das Fleisch zerbröckeln, aber nicht zerfasern lässt, was wir ihr am Stiel besonders gut demonstrieren konnten, veranlasste sie zu einem Blick auf ihre Armbanduhr.
Als wir schließlich fragten, ob sie sich denn für die Pilze, die sie ja selbst mitgebracht hatte, nicht interessiere, bekannte sie zaghaft, dass dies zuträfe, dass sie beim Sammeln auch gar nicht dabei gewesen sei und lediglich von ihrer Familie bestimmt worden war, die Pilze bei uns vorzulegen und begutachten zu lassen.
Daraufhin machten wir ihr deutlich, dass wir unsere Aufgabe der Pilzberatung so verstehen, dass wir die Interessenten von den letzten Zweifeln befreien und zur sicheren Kenntnis der Speisepilze hinführen wollen, dass aber unsere Hinweise dann ins Leere gehen, wenn der Pilzsammler nicht selbst zu uns kommt. Dies schien sie zu verstehen, denn sie nickte beifällig. Als wir wiederholten, dass nächstes Mal der Pilzgänger selbst bei uns erscheinen möge, antwortete sie zögernd, die Oma habe die Pilze gesammelt, aber der betagten Dame sei die Fahrt in die Innenstadt zu beschwerlich und zu aufregend. Die nächste Frage, ob denn dann die Großmutter noch fit genug sei, insbesondere ob sich noch so gute Augen habe, um Speisepilze zu suchen blieb uns im Halse stecken, denn als nächstes förderte sie einen knapp unterhalt der Manschette abgeschnittenen Hut eines grünen Knollenblätterpilzes zutage. Schlagartig sprang unser Puls auf 180. Der Giftige ist uns zuvor schon in der Natur oder auf Ausstellungstischen untergekommen aber nun, ganz plötzlich und unerwartet blickte er uns aus nächster Nähe als angeblicher Speisepilz harmlos aussehend ins Auge. Zum Glück hatten wir ihn trotz des Fehlens der Stielbasis und der verräterischen Scheide gleich erkannt und durchschaut. Im Korb fanden sich noch 3 gleichartige Exemplare, insgesamt also die ausreichende Menge, um eine ganze Familie ins Jenseits zu befördern.
Die Täublinge und Milchlinge hatten sich schon für Speisezwecke als untauglich erwiesen, und nun war mit einem Schlag die Frage nach der Verwertbarkeit des gesamten Korbinhaltes beantwortet, denn weisungsgemäß durften wir die ganze Kollektion nicht zum Verzehr freigeben, sondern mussten sie einbehalten. Die junge Dame hat auch diese Nachricht überraschend gefasst hingenommen. Ob ihr bewusst war, was ihr und ihrer Familie erspart blieb, war ihr nicht anzumerken. Etwas erleichtert schien sie schon zu sein; vielleicht war sie aber auch nur froh, dass der Korb auf dem Heimweg nicht mehr so schwer sein würde.